Viele der besten Hotels der Welt tragen seine Handschrift, so auch das The Chedi Andermatt in der Schweiz. Seit mehr als 30 Jahren ist Asien für den gebürtigen Belgier Jean-Michel Gathy sein Zuhause. Der Architekt und Designer lebt in Kuala Lumpur, wo er das Design- und Beratungsunternehmen Denniston International Architects & Planners Ltd. leitet.
Nord59 sprach mit Mr. Gathy über Reisen und Architektur.
Nord59: Wie beeinflusst das Reisen Ihre Architektur?
Jean-Michel Gathy: Reisen hat etwas mit der grundsätzlichen Einstellung zu tun, sich auf eine andere Umgebung einzulassen, eine andere Sprache zu sprechen und mit Bräuchen umzugehen, die uns nicht vertraut sind. Das ist einfach spannend. Ich reise immer noch wie ein Verrückter durch die Welt. Reisen ist bezeichnend für meine Persönlichkeit, und hauptsächlich deshalb entwerfe ich Hotels und Resorts. Es macht doch viel mehr Spass, sich in ein Flugzeug zu setzen und nach Argentinien, nach Massachusetts oder Tokio zu fliegen, um dort ein Resort zu planen, als eine Fabrik ausserhalb Kuala Lumpurs zu bauen.
Was waren die Vorgaben Ihres Kunden für das The Chedi Andermatt, und welche Herausforderungen und Möglichkeiten haben sich daraus für Sie ergeben?
Die Vorgabe war simpel: Andermatt war im Ausland völlig unbekannt. Kein etabliertes Reiseziel. Deshalb war meine Vorgabe: Setzen Sie die Standards so hoch, wie es geht, und schaffen Sie ein Wunsch-Reiseziel. Das stellten sich der Eigentümer und auch der Betreiber, GHM, vor.
Architektur schafft also quasi auch eine Destination?
Sie können die Nachfrage wecken, wenn Sie ein erstklassiges Produkt haben. Das war das Ziel der Design-Vorgabe: Schaffen Sie ein Wunsch-Reiseziel, mit einer bestimmten Anzahl von Zimmern und Apartments.
Wie beeinflusste die bestehende Struktur des Dorfes Ihr Projekt?
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir sind durch alle Bereiche gegangen: die gesetzlichen, sozialen und physikalischen. Wir haben das Wetter untersucht, die Gewohnheiten der Menschen und die Logistik bis hin zu den Zugangswegen. Wir haben alles berechnet, und dann sind wir zu den Menschen von Andermatt gegangen und haben gesagt: «Meine Damen und Herren, wir wollen bauen. Teilen Sie uns Ihre Bedenken mit. Sagen Sie uns, was Sie nicht möchten.» Wir haben sie spüren lassen, dass wir verantwortungsbewusst handeln und wir ihren Lebensraum und ihre Gebräuche respektieren.
Was hat Sie zum Design des Chedi Andermatt inspiriert?
Zunächst ist das Design immer das Ergebnis aus Vorschriften, Bestimmungen und spezifischen Einflüssen, die alle unter der Zustimmung des Kunden berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören alle rechtlichen und sozialen Anforderungen für die Bebauung eines Gebiets. Auf dieser Basis haben wir eine Vision entwickelt. Natürlich musste sie im vorliegenden Fall dem «Chalet-Stil» entsprechen. Aus diesem Grund haben wir uns von der Architektur des Kantons Uri, mit seinen Holzverkleidungen und dem Fachwerkstil, inspirieren lassen. Wir orientierten uns daran, wollten allerdings dem Design eine etwas zeitgenössischere Note verleihen. Die Fassade besitzt durch die verschiedenen Ebenen und Schichten viel Tiefe, die durch die Beleuchtung noch verstärkt und betont wird. Der Alpine-Look wurde durch ein steinernes Fundament des Gebäudes dynamisch und dennoch gemütlich gestaltet.
Haben Sie alles geplant, die Architektur wie auch die Innen- und Landschaftsgestaltung?
Bis auf ein Restaurant alles – die gesamte Architektur, die Aussenbereiche und den Innenraum. Quasi 99 Prozent des gesamten Hotelprojektes.
Woran haben Sie sich während der fortschreitenden Planung orientiert?
An den «grossen alten Damen» natürlich, die in der Schweiz alle um Anfang 1900 erbaut wurden – in St. Moritz, Gstaad und Andermatt. In Andermatt war es das Grand Hotel Bellevue. Wir haben an dem Ort gebaut, an dem einst das Bellevue stand, und dabei der «alten Dame» Respekt gezollt.
Wie würden Sie eine «grosse alte Dame» beschreiben?
Sie ist beeindruckend, ausgeglichen, nicht arrogant, von Grund auf gediegen, mit Liebe zum Detail gebaut, nicht 08/15 und auf einem soliden Fundament. Die «grosse alte Dame» hat hohe Decken und verfügt über einen Spa, Pool, Dampfbad, Bars, Restaurants, einen Weinkeller und eine Zigarrenlounge.
Und, im The Chedi Andermatt finden sich alle diese Elemente wieder?
Ja, wir haben alle diese Elemente in unsere Planung einbezogen. Unter Berücksichtigung aller Vorschriften sollte das Hotel aussehen wir ein Chalet. Die Dachneigung musste einen bestimmten Winkel haben, der Deckenkanal musste auf eine maximale Höhe ausgedehnt werden. Das Ganze ist zurückhaltend zeitgemäss, mit vorgespanntem Glas, Steine, die bewusst nicht exakt zugeschnitten sind, und einen Glasvorbau am Eingang anstatt eines altmodischen Vordachs. Das Hotel ist klassisch in Bezug auf seine Grundsubstanz, aber zeitgemäss, was den Feinschliff anbelangt, und typisch schweizerisch in seinen Ausmassen – dem Baukörper, dem Dach, den Überhängen. Und alles wurde den Materialien und Farben des Dorfes angepasst und völlig integriert, auch das Dach. Wenn sie die Augen zusammenkneifen, verschwindet es im Dorfbild.
Sie gestalten ein Luxushotel inmitten eines alten Schweizer Dorfes, zwischen hoch aufragenden Bergen. Wie haben Sie sich für die Anordnung des Hotels und seiner Einrichtungen entschieden?
Die Platzierung war nicht einmal eine Entscheidung. Sie war ein Resultat aus den Vorgaben. Sie kalkulieren senkrechte Verkehrsflächen, horizontale Abflussmengen, und wenn Sie alles zusammennehmen, haben Sie das Volumen. Für dieses Volumen müssen Sie das eine verwerfen, das andere grösser machen, eines dünner und dann fügt sich alles ineinander.
Gibt es etwas am the Chedi Andermatt, was Sie besonders mögen?
Ich habe immer nach einem Hotel gesucht, das sich wie ein Zuhause anfühlt. Chalets sind meist so gemütlich, weil sie Privathäuser sind. Bei einem Hotel ist es schwierig, diese Atmosphäre zu schaffen. Hotels können grossartig, aber eben nicht gemütlich sein. The Chedi Andermatt ist beides. Es hat eine sehr persönliche Note.
Welche Elemente Ihres Designs werden Ihrer Meinung nach den grössten Eindruck bei den Gästen hinterlassen?
Ich möchte, dass die Gäste sagen, dass das ein schönes Hotel ist, nicht «Wow, Jean-Michel ist ein grossartiger Architekt.» Wenn man das will, dann entwirft man Bibliotheken und Museen wie Frank Gehry. Um Hotels richtig zu gestalten, müssen Sie wollen, dass der Gast sagt: «Ich komme wieder.»