Die Farbe Weiss ist sein Markenzeichen, und liebevoll bezeichnet man ihn auch als «The White Guy», denn fast alle seine weltweit errichteten Gebäude sind ausschliesslich in strahlendem Weiss gehalten.
Durch das harmonische Zusammenspiel der strengen geometrischen Formen, die klaren Strukturen seiner Bauten, die porzellanartige Oberflächengestaltung und durch seine besondere Beziehung zu Raum und Licht gehört Richard Meier zu einem der wichtigsten Architekten der Gegenwart. Bekannt durch seine legendären Einfamilienhäuser in den USA kam der weltweite Ruhm aber vor allem mit seinen aufsehenerregenden öffentlichen Bauten.
Nord59°: Herr Meier, was fasziniert Sie so an der Farbe Weiss?
Richard Meier: Schauen Sie sich die wunderschönen beschneiten Berge draussen an. Durch den Schnee ist die Form der Berge viel deutlicher zu erkennen. Das Weiss hilft uns, vieles klarer wahrzunehmen – es hilft uns, die Farben zu erkennen, den Wechsel der Jahreszeiten und die Veränderung des Lichtes während des Tages. Es erhöht quasi unser Wahrnehmungsvermögen.
Licht spielt für Ihre Gestaltung eine wichtige Rolle. Sie nannten Licht sogar das wichtigste Material bei der Realisierung eines Bauwerks. Was hat man darunter zu verstehen?
Das Licht entscheidet darüber, wie man einen Raum wahrnimmt. Es verändert sich, wenn man von einem Raum in den anderen geht – und jeder Raum nimmt das Licht unterschiedlich auf. Kommt das Licht von der Seite oder kommt es von oben? Es ist stets eine komplett andere Wahrnehmung des Raumes.
Raum und Form sind zwei weitere Elemente, die Ihnen wichtig sind. Wie verbinden Sie diese Elemente bei Planung und Bau eines Gebäudes miteinander?
Man muss immer die Qualität des Raumes bedenken und was man mit oder in diesem Raum machen möchte. Daraus ergibt sich, welche Form er bekommen soll. Ein Raum, der eher geradlinig verläuft, ist völlig anders als ein Raum mit gebogenen Linien. Und diese Form hilft mir dabei, mich auszudrücken; eben durch die Art der Gestaltung des Raumes. Es besteht ein Unterschied zwischen transparenten Elementen und schlichten, klaren Elementen. Ich kann einen Raum öffnen oder ihn schliessen – das ist alles Teil der Gestaltung eines Raumes und Gedanken, die ich mir bei der Gestaltung von Räumen mache. Wie ist zum Beispiel das Verhältnis zwischen massiven und transparenten Elementen? Über all diese Elemente beziehungsweise Faktoren muss ich mir gleichzeitig Gedanken machen, um ein gutes Gebäude zu entwerfen.
Das Getty Museum in Los Angeles ist ein aussergewöhnliches Gebäude. Empfinden Sie ein wenig Stolz, wenn Sie dieses Gebäude sehen?
Ich bin ungemein stolz auf das Getty Museum – ich könnte nicht glücklicher sein über ein Gebäude. Sollte ich jemals schwer depressiv sein, werde ich ins Getty gehen!
Fiel es Ihnen schwer, den Kompromiss einzugehen und das Gebäude nicht in Weiss zu gestalten?
Als ich als Architekt ausgesucht wurde, hat es mich am Anfang geärgert, dass es aufgrund eines Gesetzes nicht in Weiss gebaut werden durfte. Letztlich jedoch war es für mich eine Herausforderung, und ein wenig Weiss ist ja durchaus vorhanden, wenngleich nicht ganz so viel, wie ich es gern gehabt hätte.
Welche Eindrücke möchten Sie den Besuchern hinterlassen, wenn sie eines Ihrer Gebäude verlassen? Was geben Sie ihnen mit auf den Weg?
Ich möchte, dass die Menschen sich über das Gebäude freuen und dass sie noch einmal zurückkommen möchten. Das Gebäude bleibt, aber es verändert sich – nicht nur im Verlauf der Jahreszeiten, sondern auch im Laufe eines Tages. Und ich möchte, dass die Menschen zu jeder Zeit Gefallen an dem Gebäude finden.
Ein Museum ist heutzutage ein Ort der sozialen Interaktionen, also der zwischenmenschlichen Kontakte und des Austauschs. Müssen diese bei der Gestaltung berücksichtigt werden?
Definitiv! Ein Museum ist nicht nur ein soziales Center, sondern auch ein kultureller Treffpunkt. Ein Platz, an dem Menschen zusammenkommen, an dem verschiedenste Veranstaltungen stattfinden – ob es nun ein Essen oder sogar eine Hochzeit ist. Die Menschen sollen sowohl das Museum an sich als auch die Kunst geniessen, die dort präsentiert wird. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Zusammenkommen von Menschen und dem gemeinsamen Teilhaben und Miterleben von Kunst. Als Beispiel sei die Plaza vor dem «MACBA» in Barcelona genannt – dort treffen sich Skateboarder und andere Menschen, die an und für sich nicht explizit das Museum besuchen, sondern dort einfach ihre freie Zeit verbringen, weil es ihnen dort gut gefällt. So etwas hätte ich nie planen oder vorhersagen können, aber es freut mich sehr, dies erleben zu dürfen.
Ist Architektur Kunst? Und welche Gabe besitzt die Architektur, sprich, was sollte sie vermitteln?
Sicherlich ist Architektur Kunst, doch sehen Sie, ein Künstler kann ein quadratisches Rad kreieren, ein Architekt aber muss ein rundes Rad entwerfen, denn es muss funktionieren. Ein Maler oder Künstler kann sich auf seine Art ausdrücken, ohne dafür verantwortlich zu sein, dass sein Werk auch funktioniert. Ein Architekt sollte immer auch Verantwortung tragen.
Architekten tragen also so etwas wie eine gesellschaftliche Verantwortung. Worin besteht diese für Sie?
Architekten haben eine grosse Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, denn auch wenn wir heute das Gebäude bauen, wird es dort noch für die nächsten 50 bis 100 Jahre stehen. Und wir wissen nicht, was für Menschen dieses Gebäude erleben und nutzen werden. Also sollte es uns immer bewusst sein, dass wir nicht für den Moment designen, sondern auch für die Zukunft.
Welche Werte manifestieren sich in Ihrer Architektur?
Werte haben mit Stabilität zu tun, mit etwas Dauerhaftem, und auch in gewisser Weise mit Respekt vor dem, was von Menschen gemacht wurde, und dem, was natürlich ist. Es ist eine Art Dialog zwischen etwas Gebautem und etwas Biologischem.
Alle Bilder: ©Richard Meier & Partners Architects