Wenn das das Haus Ruinart alljährlich einen Künstler für eine Zusammenarbeit beauftragt, dann lässt es ihm komplett freie Hand. Genau diese Freiheit war es, die Erwin Olaf in 2016 so gereizt hat. Und wer wäre denn auch besser dazu in der Lage, die Kreidekeller des Hauses Ruinart zu beleuchten, als ein Fotograf?
Der niederländische Künstler Erwin Olaf beeindruckt mit seinem Auge für Perfektion und Geschichte. Bei seinem ersten Besuch in Reims war Erwin Olaf vollkommen fasziniert von der Tiefe und Grossartigkeit der Kreidekeller. Er entschloss sich daher, sich bei seiner Arbeit auf die Details zu konzentrieren – die einerseits durch präprähistorische natürliche Formationen entstanden sind und andererseits auf die Spuren, die die Menschen hinterlassen haben. Der Fotograf, der sonst seine künstlerischen Methoden durch Szenarien im Kopf visualisiert, bevor er diese schliesslich fotografisch festhält, erlebte bei dieser Arbeit eine ganz neue Herausforderung. Die Arbeit für das Champagnerhaus entwickelte sich für Erwin Olaf in eine komplett andere Richtung als bei seinen bisherigen barocken und hypnotischen Bildern. Nord59 sprach mit Erwin Olaf über seine Kunst, Champagner und mysteriöse Kreidekeller.
Nord59: Was ist für Sie der ultimative Luxus?
ERWIN OLAF: Ein bequemer Stuhl im Schatten eines Baumes, dazu eine sanfte Brise, die mit den Blättern spielt. Zudem der Klang des Meeres mit dem Blick auf einen menschenleeren Strand und das kristallblaue oder -grüne Meer. Ich allein mit der Schönheit der Natur.
Mit wem und mit was feiern Sie «good news»?
Mit meinem Partner und einem fabelhaften Glas Champagner.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Ruinart?
In 2014 wurde ich von Ruinart kontaktiert. Das Verlockende an der Zusammenarbeit war: Es gab keinerlei Vorgaben und ich hatte als Fotograf völlig freie Hand. Für mich war dies jedoch eine grosse Herausforderung, denn wie sollte ich es als Fotograf schaffen, für Ruinart zu arbeiten, ohne dass das Ergebnis wie Werbung daher-kommt? Doch die Herausforderung war so gross, dass ich schnell zugesagt habe.
Und dann landeten Sie in der unterirdischen Welt des Champagnerhauses…
Als Fotograf bin ich ja für Stage-Fotografie bekannt, das bedeutet, dass ich stets jede Menge Mitarbeiter und Models am Set habe. Als wir durch die 38 Meter tiefen Keller von Ruinart gingen, war ich zugegebenermassen etwas un- glücklich … Wenn ich fotografiere, versuche ich Geschichten aus der Vergangenheit in Stage-Fotografien zu verwandeln – was mir hier in den Kellern jedoch nicht gelang … Es gab irgendwie nichts zu sehen, aber zugleich so unglaublich viel. Voller Eindrücke, aber mit durchwachsenen foto- grafischen Ergebnissen ging ich schliesslich nochmals alleine in die Keller hinunter, um meinen Kopf freizubekommen. Dabei entdeckte ich immer wieder Reliefs und Strukturen an den Wänden. Ich stellte mir die Frage, warum jemand diese Reliefs gemacht hatte – und zugleich erkannte ich einen starken Kontrastpol zu der glamourösen Welt der Champagner. Hier an den Wänden identifizierte ich die Geschichte und das Erbe von Ruinart. Mit nur einer Assistentin, einer Lampe und einer 35 Jahre alten Hasselblad ging ich wieder hinunter in die Keller, und nach ein paar Stunden kamen wir mit Bildern zurück, die im kompletten Gegensatz zu den ersten Versuchen standen. Meine Transformation ist: Die Trauben benötigen Licht, um zu reifen, aber auch die Dunkelheit der Keller, um ein vollendeter Champagner zu werden. Es war eine unglaubliche Herausforderung, in der Dunkelheit und Stille der menschenleeren Keller zu fotografieren.
Haben Sie Ihr fotografisches Ziel so erfüllen können, wie Sie es sich gewünscht haben?
Es ist letztlich meine Vision auf die Frage: Wie kann ich die Geschichte und das Erbe von Ruinart reflektieren und präsentieren. Und ich glaube, dass es mir gut gelungen ist, den Charakter und die Historie des Hauses abzubilden.
Wenn man Ihre Arbeiten betrachtet, haben sie zum Teil gewisse Ähnlichkeiten mit Malereien. Worin sehen Sie hier den grössten Unterschied?
Ich kann sehr viel durch meine Bilder zum Ausdruck bringen, wenngleich es einen grossen Nachteil in der Fotografie gibt: die Oberfläche der Leinwand. Die Oberfläche gemalter Bilder ist mit Emotionen verbunden, bei der Fotografie ist sie stets identisch: einfach nur Papier. Wenn ich die weiblichen Genitalien fotografiere, ist es Pornografie. Wenn ich jedoch dasselbe malen würde, ist es Kunst. Hier liegt der stärkste Unterschied zwischen der Malerei und der Kunst der Fotografie.
Ihre Serien sind sehr unterschiedlich. Langweilen Sie sich schnell, oder woher kommt der Wunsch nach häufiger Variation?
Ich versuche immer meine ganz eigene Arbeit zu machen. Ganz wichtig dabei: Ich will entdecken! Ich habe mich natürlich mit den Jahren verändert und weiterentwickelt. Mit 20 war ich rebellisch und wollte die Welt verändern. Mit 30 war ich ichbezogen und hitzig in meinen Ambitionen. Ich wollte im Mittelpunkt des Geschehens stehen – seht her, hier bin ich mit meinen fabelhaften Bildern. Mittlerweile bin ich eher entspannt und gelassen, und dies wirkt sich natürlich auch auf mein künstlerisches Schaffen aus. Es gibt viele Künstler, die mit 65 Jahren immer noch das Gleiche machen wie mit 25 Jahren. Ich frage mich nur: Hat sich in dieser Zeit nichts verändert? Alleine das politische Geschehen beeinflusst meine Arbeiten, und als Künstler sollte man auch reflektieren können.